Erdogan in Berlin- Im Schatten des Korruptionsskandals
Heute soll der türkische Ministerpräsident Erdogan mit
Kanzlerin Merkel, dem Bundesaußenminister Steinmeier und dem Vize-Kanzler
Gabriel zusammenkommen. Das wichtigste Anliegen dürfte der potentielle EU-Beitritt
der Türkei sein. Merkel hingegen pocht auf eine „privilegierte Partnerschaft“
mit der Türkei, die somit keinesfalls Teil der EU werden sollte. Wirtschaftlich
gesehen dürfte ein Beitritt der Türkei positive Wirkungen nach sich ziehen,
kulturell gesehen klaffen die Unterschiede jedoch arg auseinander. Überschattet
wird Erdogans Besuch von dem teilweise höchst umstrittenen Korruptionsskandal,
dem Erdogan durch Absetzung der Justiz zuvorgekommen ist. Es mehren sich Rufe,
dass Erdogan mit seiner Offensive willkürlich verfahren und somit die
Rechtstattlichkeit ausgehöhlt habe.
Der türkische Ministerpräsident wirbt unumwunden für einen
baldigen EU-Beitritt der Türkei. Die wirtschaftlichen Fakten sprechen
jedenfalls deutlich dafür, weswegen Kanzlerin Merkel wohlwollend von einer
„privilegierten Partnerschaft“ redet. Man wolle mit der Türkei verhandelt und
einen gemeinsamen ökonomischen Markt schaffen, das Land jedoch in die EU
aufnehmen zu lassen, komme derzeit nicht in Frage. Zu groß sei die Gefahr einer
Islamisierung Europas, die eine Integration weiter Teile der Bevölkerung
unmöglich mache.
Die Opposition fordert von Merkel
„klare Worte“, zumal Erdogan die Justiz eigenmächtig zwangsversetzt und somit
die Aufarbeitung des Korruptionsskandals erschwert habe. Erdogans
Rechtfertigung richtet sich dahingehend einem so genannten „tiefen Staat“
zuvorgekommen zu sein und beschuldigt seinen einstigen Weggefährten Fethullah
Gülen an der Verschwörung tatkräftig mitgewirkt zu haben. Dass dieser Schritt
rechtsstaatlichen Prinzipien zuwiderlaufe, ist dem AKP-Chef jedenfalls nicht
unbekannt. Dafür erntet Erdogan berechtigte Kritik, will aber an seinem rigiden
Kurs weiterhin festhalten. Erwähnenswert sei die Meldung am Rande, wonach Gülen
von Erdogan Schmerzensgeld in Höhe von umgerechnet 30 000 Euro wegen
Beleidigung und Hetze verlangt.
Die Wirtschaft Türkeis wächst mit
einem erstaunlichen Tempo und ist zuweilen von der Krise weitestgehend
verschont geblieben, womit sie sich zu einem El Dorado für Investoren geriert
habe. Dabei darf, wie von dem renommierten US-amerikanischen Ökonomen Krugman
treffend hervorgehoben, nicht vergessen werden, dass das Finanzkonglomerat
eines Tages platzen könnte. In wirtschaftlich guten Zeiten bauscht sich die
Spekulationsblase bedrohlich auf, mit der Konsequenz teurere Preise nicht mehr
begleichen, geschweige denn die Kredite, die ins Land geflossen sind, wieder
bedienen zu können. Im Vergleich zu hierzulande habe die Türkei eine deutlich
höhere Inflationsrate von 7,5 Prozent, was den Druck auf die Wirtschaft aufs
Neue befeuern sollte.
Ein EU-Beitritt dürfte die
Geldströme, die derzeit verstärkt nach Deutschland fließen, in die Türkei
umleiten. Demzufolge müsste Deutschland höhere Zinsaufschläge bieten, um die
Investoren nach Deutschland zu ziehen. Der „sichere deutsche Hafen“ würde somit
unterlaufen werden. Dem ungeachtet wolle man neue Absatzmärkte schaffen, womit
die Türkei weiterhin ein lukratives Ziel sei.
Im Zuge des fortschreitenden
Kulturkampfes hat Erdogan die Religion für seine Zwecke instrumentalisiert und
den kemalistischen Laizismus obsolet erscheinen lassen. Die Nähe zur Religion
solle ihm mehr Autorität verleihen. Nicht zu vergessen sei seine Rede in
Deutschland im Jahre 2008, als er an die in Deutschland lebenden Türken
verkünden ließ, sich nicht assimilieren zu lassen. Dieser Eklat tat der
Integration der türkischen Gemeinde sicherlich keinen Segen. Weiterer
Streitpunkt seiner geplanten Rede dürfte die von der CDU abgelehnte doppelte
Staatbürgerschaft sein, wonach den Migranten derzeit ein Optionsrecht zusteht
sich entweder für die deutsche oder die türkische Staatsbürgerschaft zu
entscheiden. Wie dem auch sei, die Türkei bleibt ein wichtiger Partner
Deutschlands.
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